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Wenn plötzlich die Luft wegbleibt

Lorenzo Gandossi ist erst 41 Jahre alt und hatte bisher kaum je eine Erkältung. Trotzdem brachte ihn Corona auf die Intensivstation. Sein Fall zeigt: Es kann fast alle schwer treffen.

Er spürte ein Kratzen im Hals, musste ab und zu husten, und das Fieberthermometer zeigte eine leicht er-höhte Temperatur an. Lorenzo Gandossi fühlte sich zwar nicht ernsthaft krank, aber auch nicht richtig gesund. Diesen Zustand kannte er bisher nicht. Von Erkältungen wurde der IT-Verkaufsberater kaum je heimgesucht. Der 41-Jährige liebt Sport: Beim Fussballclub seines Wohnorts Pfäffikon ZH ist er Trainer, er spielt selber Fussball und Tennis und geht ins Fitnesszentrum. Normalerweise prallten Viren an seinem trainierten Körper einfach ab. Doch jetzt schien es anders. Drei Wochen zuvor war er kurz in der norditalienischen Stadt Bergamo gewesen, um dort seinen Vater nach einem Verwandtenbesuch mit dem Auto abzuholen. Konnte es sein, dass er sich in der Lombardei mit dem Corona-Virus angesteckt hatte?

Kein Grund zur Sorge?

Gandossi telefonierte mit einem Arzt, der ihn beruhigte: Es bestehe kein Grund zur Sorge, die Lungenkrankheit wäre viel früher ausgebrochen. Ausserdem gehöre er mit seinen 41 Jahren und ohne Vorerkrankungen zu keiner Risikogruppe. Er solle einige Tage daheim bleiben und leichte Schmerzmittel gegen das Fieber nehmen. Und Gandossi befolgte diesen Rat. 

Alles schien nun wieder ganz normal zu sein: In seiner Wohnung im zweiten Stock war er von vertrauten Dingen umgeben. An den Wänden die Fotos seiner zwei Töchter, die bei seiner Ex-Frau leben. Er selbst wohnt mit seiner Partnerin zusammen, trifft die beiden Teenager-Mädchen aber regelmässig. Der Blick aus den Fenstern seiner Wohnung geht auf den Pfäffikersee; die Parkplätze beim Uferweg waren damals noch nicht gesperrt. Es war Februar, und das Leben in der Schweiz nahm noch seinen gewohnten Gang. In den eigenen vier Wänden war es ohnehin leicht, die Bedrohung durch das Coronavirus zu verdrängen.

Und doch stimmte etwas nicht: Am dritten Tag der Erkrankung stieg das Fieber deutlich. Grandossi fühlte sich immer schwächer: Die wenigen Schritte vom Wohnzimmer zur Küche kamen ihm plötzlich so anstrengend vor, als müsse er eine Bergwand erklimmen. Die Nacht wurde furchtbar: Gandossi rang nach Luft. Es war, als würde ihm jemand den Hals zuschnüren. Seine Freundin brachte ihn in die Notaufnahme des Spitals Uster. Der schwerkranke Mann wurde auf Corona getestet und sofort in ein Isolationszimmer verlegt. Später sollte sich bestätigten, dass er mit dem Virus infiziert war. (Fortsetzung weiter unten…)

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Auf der Intensivstation musste Gandossi nur drei Tage verbringen. «Doch es kam mir wie eine Ewigkeit vor», erzählt er. Sein Körper war mit verschiedenen Apparaten verbunden: Durch ein Schläuchlein strömte Sauerstoff in seine Nase, und eine Infusion versorgte ihn mit einem Medikament, das eigentlich zur Behandlung von Malaria entwickelt worden war. Ausserdem hatte man ihm einen Katheter in eine Arterie gesetzt, um einfacher Blut für weitere Tests entnehmen zu können.

Wenn Ärzte und Pfleger nach Lorenzo Gandossi sahen, trugen sie stets Masken und Schutzbrillen. «Ich konnte ihre Gesichter zwar nicht sehen», sagt er, «ich spürte aber ihr Mitgefühl. Und ich wusste in jedem Augenblick, dass sie alles taten, um mein Leben zu retten.» Der Patient empfand in diesen Tagen weniger Angst als eine tiefe Traurigkeit. Die Trennung von allen Angehörigen und Freunden setzte ihm zu. Er durfte keinen Besuch empfangen und fühlte sich sogar für Telefongespräche zu schwach. Nur Textnachrichten schrieb er ab und zu. Seine Freundin gab am Empfang eine Tasche für ihn ab. Darin fand er eine Collage mit Fotos von seinen Töchtern und anderen Menschen, die ihm nahestanden. «Als ich dieses Bild betrachtete, spürte ich eine grosse Zuversicht, sie alle wiederzusehen», erinnert sich Gandossi.

Botschaft an alle Senioren

Das Gefühl trog nicht: Die Behandlung auf der Intensivstation zeigte Wirkung, sein Zustand besserte sich allmählich. Schliesslich wurde er von den Schläuchen befreit und konnte einen winzigen Spaziergang in einem Spitalkorridor wagen. Dieser unscheinbare Ort kam ihm nun wunderschön vor. 

Nach zehn Tagen durfte Gandossi in seine Wohnung zurück, muss dort aber während drei Wochen in strikter Quarantäne bleiben. Nur seine Freundin leistet ihm Gesellschaft. Glücklich ist er vor allem, dass niemand aus seinem Umfeld am Corona-Virus erkrankt ist. Und es ist ihm wichtig, eine Botschaft zu vermitteln: «Meine Krankheit zeigt, dass es fast alle schwer treffen kann. Umso mehr sollten Senioren und Menschen aus anderen Risikogruppen jetzt daheim bleiben.»

Bild: Gian Marco Castellberg

von Michael West,

veröffentlicht am 08.04.2020


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